Das alte
Auto
Gestern
haben wir unser liebes, großes silbernes Auto weggebracht.
Ich
habe ein bißchen geheult.
Es
war zehn ereignisreiche Jahre unserer Begleiter.
Es
hat uns zu unseren geliebten Picknick`s gebracht, zu Ausflügen durch
blühende Rapsfelder und rote Mohnfelder, durch reife Kornfelder und
große Sonnenblumenfelder, zu kleinen , vergessenen Dörfern, in
denen an jedem Haus der Flieder blüht.
Es
hat uns sicher durch wabernde Nebelschwaden und dunkle Nächte
gefahren, durch Sommergewitter, strömenden Regen und dichtes
Schneegestöber.
Es
hat uns 10 Jahre jedes Pfingstfest von einem Künstleratelier zum
nächsten gebracht in ganz Mecklenburg.
Es
hat alle meine Quilts geladen, wenn wir damit zu Ausstellungen oder
Tell und Show fuhren.
Es
hat die wunderlichsten, klebrigsten, schwersten und sperrigsten
Sachen in oder aus den Garten gebracht. Weil es so herrlich groß war
,passte alles problemlos hinein.
Es
hat unseren Frühjahrs-, Sommer- und Winterschmuck für den großen
Balkon transportiert und nicht gemotzt, wenn ein bißchen viel Erde
oder Nadeln sich im Kofferraum tummelten. Ja, es hat sogar ohne
Murren riesige Müllsäcke mitgenommen voll mit duftendem goldgelben
Stroh oder kleine, gut zu geschnürte Müllsäcke mit Pferdeäppeln
.
Es
hat uns zu den Kindern , Enkel- und Urenkel , zu Nichten, Neffen und
Verwandten gebracht und mich auf den Rücksitzen sanft in den Schlaf
gewiegt. Es hat erlebt, wie die Enkel hinten drin saßen und von
Ferien zu Ferien wuchsen und lernten, vom ersten Bla-Bla bis zu
stundenlangen Gesangseinlagen und langen Geschichten im Dunkeln,
anspruchsvollen Quizfragen und witzigen Rätseln, mit denen Oma und
Opa verblüfft werden sollten.
Es
hat uns zu den Altvordern gebracht, zur Gartenarbeit, zum Kaffee und
als sie uns brauchten und hat uns auch zum letzten Weg mit Ihnen
gebracht.
Es
ist mit uns zu großen Ereignissen gefahren, Hochzeiten, Geburten,
Familientreffen und zu vielen Sternetreffen.
Es
ist mit uns spazieren gefahren durch blühenden, hoffnungsvollen
Frühling, durch warme Sommer mit Grillengesang am Wegesrand, durch
satten Herbst mit all den leuchtenden Blättern, durch graue
Novembertage, an denen nur noch die wenigen goldenen Blätter der
Birken schön sind, und rutschfrei durch strahlend weiße
Winterlandschaften.
Es
hat jedes Jahr unsere großen Ernten nach Hause gebracht: Eimer
voller Pflaumen, Heidelbeeren, Hagebutten, Äpfel, Birnen und große
Kürbisse.
Von
Freunden, vom Wegesrand im Hausverkauf oder von Kürbisfesten.
Es
hat sich mit uns gefreut, wenn riesige Flieder- oder Phloxsträuße
auf der Kofferraumabdeckung dufteten, oder Zweige mit knallroten
Vogelbeeren dort lagen.
Es
hat uns zu Apfel- und Tomatenfesten gebracht und zu Trödelmärkten.
Es
hat geduldig all die Wartezeiten vor der Klinik gestanden und uns
immer gut nach Hause gebracht.
Es
ist auch nicht eifersüchtig auf die E-Bikes gewesen, die wir uns vor
3 Jahren angeschafft haben und mit denen wir Kurztouren machen, für
die wir früher unser Auto genommen haben.
Es
war immer voll beladen.
Was
schleppten wir nicht alles für uns mit: Karten, Literatur,
Verpflegung ( für Notzeiten ), Badezeug, Zeltplanen, warme Mützen,
Socken und Handschuhe ( für Notzeiten), Bestecke, Brettchen, Tüten,
Schnüre....
Und
dann das Werkzeug: eine komplette Ausrüstung ( für Notzeiten ).
Wir
haben 5 – in Buchstaben : fünf – große Kisten heraus gepackt
und dann war es noch nicht leer! Kann man alles brauchen, sagt mein
Mann.
Ich
weiß nicht, wie oft er gelaufen ist, um alles auszuladen?
Und
all das, was jetzt vor meinem Nähtisch die gesamte Arbeitsstube
füllt,
all
das hat unser großes, starkes Auto immer nur so nebenbei
mitgeschleppt , man weiß ja nie, sagt mein Mann!
Es
hätte vielleicht öfter gewaschen und poliert werden wollen,
aber.... ich nähe viel lieber....
Aber
wir haben es sehr geliebt und das haben wir ihm auch viele Male
gesagt. Nach kritischen Situationen (Stau, Berge, Eis und Schnee,
liegengebliebene Wracks am Straßenrand ) haben wir es getätschelt.
Wenn ich auch nervös wurde, unser Auto wurde es nicht! Es hatte
soviel Kraft unterm Gaspedal, die mir immer ein bißchen unheimlich
war, die aber das Beste war- sagt mein Mann.
Und
jetzt haben wir es einfach so – nackt und leer – beim Händler
stehen lassen.
Ein
letztes Mal gelobt und gehen, zwei Schritte – umdrehen – gehen,
drei Schritte – umdrehen – gehen, Kurve – aus – weg.
Ich
habe ein bißchen geheult.
Und
nun gehen wir heute Nachmittag hin und holen uns dort das neue Auto:
klein,
rot, strahlend, neu – wir wir wollten.
ABER
WIE KANN MAN DAS TUN ?!
Ich
habe das Gefühl, ich gehe mit einem großen, treuen Hund, der ein
bißchen in die Jahre gekommen ist, ein paar Wehwehchen hat und ein
toller Fresser ist, aber sonst gesund und uns so ans Herz gewachsen ,
zum Kaufladen, sag „Sitz“ Dann gehe ich hinein und komme mit
einem jungen, schicken, kleinen, der nicht so viel frisst wieder
heraus und gehe mit dem nach Hause.
Hört
Ihr auch das leise Winseln und Fiepen? Nein?
Ich
gehe nach Hause, meine Erinnerungen bleiben dort.
Aber
die Freude geht mit mir, die Vorfreude auf einen neuen Freund, mit
dem ich noch viel erleben möchte.
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